Fachbereich Informatik (20) Praktische Informatik PD Dr. R. Brause
Es gibt viele Betriebssysteme; die meisten sind wirtschaftlich bedeutungslos. Kaum jemand wird in die Lage kommen, ein neues Betriebssystem neben den bereits fest etablierten zu schreiben. Wozu dann ein neues Betriebssystem?
Es gibt verschiedene Probleme, die mit den bereits existierenden Systemen nicht gelöst werden können. Indem wir uns mit Alternativen beschäftigen und kritisch eigene Konzepte entwickeln, lernen wir die bestehenden Betriebssystemkonzepte besser kennen und können ihre Leistungsfähigkeit später im Beruf besser beurteilen.
Um welche Probleme geht es?
In den letzten Jahren hatte sich eine Aufbruchsstimmung bei den Nutzern von Rechnern breit gemacht: Jeder wollte seinen eigenen PC haben, um vom Rechenzentrum unabhängig zu sein. Allerdings ist dieses Freiheitsgedanke einem Katzenjammer gewichen: man hatte dabei die Probleme übersehen, die ein solche Vorgehen mit sich bringt und die jedem Rechenzentrum schon immer bekannt sind. Jeder Computernutzer möchte einerseits alle möglichen Programme nutzen und Daten erzeugen, andererseits aber für Konfigurationspflege, Programmaktualisierung und Datensicherung möglichst keinen Aufwand betreiben.
Die Administration von Rechnernetzen verursacht aber viele Kosten: man rechnet ungefähr den Anschaffungspreis (ca. $5000) pro Jahr pro PC. Aus diesem Grund gibt es das Konzept, (wie z.B. HP Open View, CA Unicenter,..) die Programmverteilung und Installation zentral vom Administrator übers Netz auf den unabhängigen Rechnern durchführen zu lassen.
Ein solches Konzept hat Vorteile
Der Administrator kann fachkundig jede gewünschte Konfiguration richtig einstellen;
aber auch Nachteile
Der Administrator muß alle (sich ändernden!) Präferenzen und Wünsche des Benutzers kennen, um die benötigte Software "per Hand" mit seinen Werkzeugen zu installieren.
Die Pflege und individuelle Betreuung kostet viel Aufwand und Geld. Um diesem zu entgehen, werden nur Standardkonfigurationen installiert, was zum Unmut der Benutzer führt: er fühlt sich von der Zentrale bevormundet und gegängelt, da sein Lieblingsprogramm nicht unbedingt vorhanden ist.
In letzter Zeit hat eine Alternative von sich reden gemacht: der Netzcomputer (NC). Bei diesem Gerät existiert keine Festplatte, sondern nur ein großer Hauptspeicher, in den immer die aktuelle Programm - und Datenversion übers Netz zur Ausführung geladen wird.
Die Management-Vorteile eines solchen Mikrokern-Konzepts gegenüber den üblichen Netzen aus PC`s in Firmen liegen auf der Hand:
Durch die zentrale Wartung der benutzten Daten sind diese immer aktuell und konsistent. Dies bezieht sich sowohl auf die Teile des Betriebssystems, die über das Netz geladen werden (Treiber, Dienstprogramme usw.) als auch auf die Benutzerprogramme und die verwendeten Dateien.
Der NC benötigt weniger Hardware, da bestimmte Betriebssystemteile und lokaler Plattenplatz für die Dienstprogramme entfallen. Dies macht den NC billiger in der Anschaffung.
Die Pflege der Systemsoftware, die Lizenzvergabe und die Konfiguration auf dem NC wird nur einmal zentral durchgeführt und gepflegt. Dies macht den NC billiger in der Wartung, was nicht unerheblich ist: Man rechnet für die Software- und Konfigurationspflege eines PC den gleichen Betrag pro Jahr wie für den Kauf.
Auch die Hardware-Reparatur ist einfacher, da die Computerteile beliebig ausgetauscht werden können: alle Benutzerdateien und -profile liegen auf dem Zentralrechner und gehen dabei nicht verloren.
Durch die zentrale Datensicherung kann bei einem Rechnerausfall die Arbeit auch bei unzuverlässigen oder vergeßlichen Mitarbeitern weitergehen. Auch der Datendiebstahl ist ohne Peripherielaufwerke nicht mehr so einfach möglich, ebenso wie das Installieren von Spielen oder unabsichtliche Verbreiten von Viren.
Neben der besseren Nutzung von Druckern, Fax-Anlagen usw., die allgemein durch die Anbindung an das Netzwerk möglich wird, ist speziell beim NC die bessere Ausnutzung der Massenspeicher im zentralen pool möglich. Die notwendigen Erweiterungen können sich besser an dem jeweiligen Bedarf orientieren.
Aber auch die Nachteile eines solchen Konzepts sind deutlich:
Laufen alle Applikationen über das Netz, so muß das firmeninterne Netz (Intranet) und die dabei verwendeten Server in der Leistung (Durchsatz und Speicherkapazität) deutlich gesteigert werden. Dies kostet zusätzlich Geld.
Fügt man zur Pufferung von Daten und häufig benötigten, großen Programmen noch zusätzliche Hardware (Hauptspeicher, Massenspeicher) in den NC ein um die Ladezeiten und die Netzbelastung klein zu halten, wie dies schon bei den UNIX-Grafiksichtgeräten (X-Terminals) nötig wurde, so werden die Kostenvorteile des NC wieder relativiert.
Durch die zentrale Wartung der Software und das Management der Hardware fühlen sich die Anwender durch die EDV-Zentrale wie früher bevormundet: Nur die Zentrale entscheidet, welche Programme benutzt werden können und wieviel Speicherplatz dem Einzelnen zugewiesen wird.
Eine interessante Alternative wäre zweifelsohne ein Computernetzwerk, das jedem seinen individuell konfigurierten Arbeitsplatz gestattet, aber durch zentrale Wartung für die Standardprogramme die meisten Konfigurationsprobleme am Arbeitsplatz verhindert und für aktuelle Dateien sorgt.
Die obige Problematik läßt sich als Gegensatz zwischen zwei Konzepten herausarbeiten:
Üblicherweise hat der Netzwerkmanager die Möglichkeit, aktiv die Konfiguration eines am Netz hängenden Computers zu verändern. Dies erfordert aber das Wissen um einen nötige Veränderung sowie die benötigten Daten für jeden einzelnen Computer. Aus diesem Grund sind jedem Netzwerkmanager inhomogene Systeme aus unterschiedlicher Hardware und Software ein Graus und Quelle ständigen Ärgers.
Statt dessen kann auch jeder einzelne Arbeitsplatzcomputer neben seinen speziellen Programmen und Nichtstandard-Dienstleistungen einen vom Benutzer nicht beeinflußbaren Teil (Dateisystem) enthalten, der regelmäßig (z. B. nach dem Anschalten des Rechners oder in festen Zeitabständen) mit der Konfiguration bzw. den Datenbeständen eines oder mehrerer, benutzerspezifizierten Server automatisch durch ein besonderes Programm (Dämon, Agent usw.) abgeglichen wird. Die benötigten Dateibestände und Server (Programm-Server, Objekt-Server) werden dazu entweder einmal beim initialen Einrichten des Rechners festgelegt oder dynamisch ermittelt. Der Rechner arbeitet also damit wie ein Netzcomputer, der große Teile des Betriebssystems und der benötigten Anwenderprogramme im Cache hält, um die Zugriffszeit zu senken. Der Agentenprozeß der Aktualisierung hat dabei die Funktion eines Cache-Snoopers, der den Cache aktuell hält. Ein Betriebssystem, das einen solchen Cache-Betrieb unterstützt, können wir als cache operating system (COS) bezeichnen.
In diesem Seminar wollen wir uns nun Gedanken darüber machen, wie eine solche dritte Alternative, den gesamten Computer mit Haupt- und Massenspeicher als Cache anzusehen, konkret aussehen könnte.
Ein solcher Ansatz hat die Vorteile
Es sind immer alle aktuellen Versionen verfügbar, ohne daß der Benutzer sich darum kümmern muß oder der Administrator sie ihm überspielt.
Die Benutzerdaten werden automatisch auf dem Server gesichert.
Bei Ausfall des zentralen Servers oder bei Netzwerksstörungen kann (im Unterschied zum NC!) jeder netzunabhängig weiterarbeiten.
Die sich zeitlich ändernde Konfiguration der Benutzerprogramme ist immer auf dem neuesten Stand; die auf dem Rechner existierenden Programme sind auch tatsächlich die benötigten.
Im Unterschied zur zentralen Wartung muß beim Wechsel eines Benutzers zu einem anderen Arbeitsplatz (anderen Rechner) die neue Konfiguration nicht aufgespielt werden, sondern stellt sich automatisch ein.
Sowohl die Softwarewartung, die zentral und damit kostengünstig abgewickelt werden kann, als auch die Hardwarewartung, die ein unterschiedliches Spektrum an Rechner einsetzen und ersetzen kann, werden preiswerter.
Die Nachteile eines solchen Betriebssystems sind bisher unbekannt, da es noch nicht praktisch erprobt wurde. Ziel dieses Seminars/Praktikums ist es, dies zu tun.
In dem Seminar sind dazu Vorträge vorgesehen, die Kenntnisse über Konzepte von netzwerkorientierten Betriebssystemen, Dateisystemen und ihre Administration vermitteln sollen. Um zu verhindern, zu stark auf ein bestimmtes Betriebssystem zugeschnittene Konzepte zu entwickeln, wurden in den Vorträgen die relevanten Mechanismen sowohl von Unix als auch von Windows NT vorgestellt werden.
Die ausgearbeiteten Seminarvorträge liegen vor.
Als Literatur ist - neben selbst gesuchter Literatur - folgendes Material vorgesehen:
Geplant ist, im darauf folgenden Semester im Rahmen eines Praktikums einen Prototypen dieser Betriebssystemerweiterung im Team zu entwickeln. Die Seminarteilnehmer sollten gewillt sein, also auch am darauf folgenden Praktikum teilzunehmen.
Die Implementierung ist auf einem separaten Netz aus Windows NT Rechnern und einem Server vorgesehen, das vom HRZ gestellt wird.
Der genaue Verlauf des Praktikums soll zum Seminarende und vor Beginn des Praktikums geplant werden.